10. Oktober 2003

Tibet Information Network
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Nyima Dragpas letztes Zeugnis

Radio Free Asia (RFA) berichtete über den Tod von Nyima Dragpa (auch "Drakpa" geschrieben) am 2. Oktober, einem tibetischen Mönch aus dem Kloster Nyitso, der während seiner Inhaftierung schwer gefoltert wurde. Wegen angeblicher spalterischer Tätigkeiten verbüßte er eine Haftstrafe von 9 Jahren im Gefängnis von Dawu (Tawu) in der Provinz Sichuan (die traditionelle tibetische Provinz Kham). Dragpa war im Oktober 2000 verhaftet worden, weil er Plakate mit der Forderung nach Unabhängigkeit für Tibet an offiziellen Gebäuden angebracht hatte. Er starb im Hospital, wohin er 10 Tage vor seinem Tod verlegt worden war. RFA gibt Auszüge aus einem Brief wieder, den er 2001 geschrieben hatte. Daraus geht hervor, daß er sich darüber im Klaren war, daß er bald sterben würde, aber dennoch unerschütterlich bei seiner Überzeugung blieb.

Bilder: http://www.tibetinfo.net/reports/trpris/dawu_jail_context.htm, http://www.tibetinfo.net/reports/trpris/dawu_jail.htm, http://www.tibetinfo.net/reports/trpris/Dawu_nyitso_monastery.htm

Ein verzweifelter Ruf aus meinem tiefsten Herzen

An Seine Heiligkeit den Dalai Lama und alle meine tibetischen Mitbrüder

"Ich bin ein junger Tibeter aus der Gegend Dawu (Tawu) in der Region Kham und heiße Keri Nyima Dragpa (tib. sked ri'i nyima grags pa). Genau wie es in dem Sprichwort heißt: 'Obwohl klein, hat ein Murmeltier doch einen Körper wie alle anderen', bin ich weder ein Mensch von besonderer Bildung, der eine hohe Stellung oder viel Autorität hätte, noch bin ich ein reicher Mann, doch habe ich grenzenlose Zuneigung zu meinem Volk, mit dem ich mich zutiefst verbunden fühle. Das tibetische Volk lag mir schon immer sehr am Herzen und ich machte mir Sorgen wegen seiner Rückständigkeit und darüber, daß wir infolge der Unterdrückung durch die Besatzungsmacht nicht einmal das Recht haben, unsere eigene Sprache zu benützen. Damit werden uns die Menschenrechte gänzlich verwehrt, ja wir haben überhaupt keinen politischen Einfluß in unserem eigenen Land.

Nachdem ich unsere wundervolle Geschichte studiert habe, wie unsere Vorfahren ihre politische Macht ausübten und das Land regierten, fand ich den Mut und die Entschlossenheit, wenn es sein muß sogar mein Leben um meines Volkes willen zu opfern. Mit tiefster Aufrichtigkeit und von dem Wunsch beseelt, daß meine tibetischen Landsleute volle Freiheit genießen mögen, sowie aus der verzweifelten Hoffnung heraus, daß die Tibeter ihr eigenes Land haben sollen, schrieb ich viele Aufrufe und forderte, daß "alle Chinesen in ihre Heimat zurückehren und den Tibetern ihre Unabhängigkeit gewähren' sollten. Diese brachte ich am 9. April 1998, am 10. und 12. und 19. November 1999, am 6. und 29. Dezember 1999 und am 7. Januar 2000 an den Seiten und Wänden der Regierungsgebäude des Kreises Tawu an. Und jedes Poster unterschrieb ich deutlich mit meinem eigenen Namen.

Doch es war mein trauriges Schicksal, ehe ich auch nur ein einziges meiner Ziele verwirklichen konnte, sieht es so aus, als ob ich dazu verurteilt wäre, mein kostbares Leben durch das grausame und repressive Regime der Chinesen zu verlieren.

Am 22. März 2000, als ich in Lhasa war, kamen vier Männer des Public Security Bureau von Tawu und nahmen mich fest. Gleich von Anfang an droschen sie, ohne irgend eine Frage zu stellen, auf mich ein wie auf ein Faß, so daß ich kein Wort mehr hervorbringen konnte. Ohne Essen oder auch nur einen Tropfen Wasser setzten sie mich in ein Flugzeug und brachten mich nach Chengdu. Dort übergaben sie mich dem chinesischen Sicherheitspersonal, um mich weiter mißhandeln zu lassen. Diese Ausgeburten von schwarzen Teufeln in Gestalt der chinesischen Kader preßten mich zu Boden und schlugen so erbarmungslos auf mich ein, daß ich bald mehr tot als lebendig war.

Dann verlor ich das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, war es etwa 11 Uhr nachts. Ich merkte, daß ich am ganzen Körper Schmerzen hatte und ich mich nicht mehr richtig bewegen konnte. Das Schlimmste war, daß meine beiden Beine ohne jedes Gefühl und taub geworden waren.

Zehn Tage, nachdem wir in Tawu angekommen waren, begannen die Verhöre. Trotz der heftigen Schmerzen und gräßlichen Pein in meinem ganzen Körper gelang es mir Unglückseligem, ihnen alles ganz genau zu sagen, was ich zutiefst glaube und in meinem Innersten fühle. Ich gab auch zu, daß ich es war, der die Plakate geschrieben hatte.

Daraufhin verurteilte mich das Gericht von Kardze am 5. Oktober zu neun Jahren Gefängnis. Ich bin jetzt aber in einem solch elenden Zustand, daß ich keinen Bissen mehr hinunter bekomme, und meine Beine sind durch die grausamen Mißhandlungen der Chinesen lahm geworden. Ich weiß, daß ich nicht mehr lange leben werde.

Aber ich habe keine Angst vor dem Tod. Wenn der letzte Lebensatem diesen gebrochenen Tibeter verlassen hat, möge dieser Aufruf meinem Onkel mütterlicherseits, Jowo Kyab, übermittelt werden oder meine tibetischen Mitbrüder erreichen, die ein Interesse an unserem Volk haben und denen die Sache unserer tibetischen Nationalität am Herzen liegt. Möge durch die Vermittlung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama die internationale Gemeinschaft und die ganze Welt davon in Kenntnis gesetzt werden, wie grausam China mit Tibetern wie mir umgeht, wie es sie schikaniert und strafrechtlich verfolgen läßt.

Darüber hinaus appelliere ich an alle unsere tibetischen Mitbrüder, die vom selben Fleisch und Blut sind, wie ich: Ihr müßt die Wahrheit erfahren und wissen, wie die Chinesen uns unter Mißachtung aller Gesetze mit Folter und Gefangenschaft drangsalieren. Wir sollten, koste es uns, was es wolle, vereint gegen China aufstehen."

Kheri Nyima Dragpa

1. April 2001

Siehe auch:
TIN Publication: In the interests of the state: Hostile elements III - political imprisonment in Tibet, 1987-2001, http://www.tibetinfo.net/publications/bbp/he3.htm
Reports from Tibet: Prisoners and protest, http://www.tibetinfo.net/reports/trprison.htm
Images from Tibet: Prisoners and protest, http://www.tibetinfo.net/tibet-file/prisoners_a.htm